Vom 16. bis 19. September 2025 hat in Bonn der 55. Deutsche Historikertag stattgefunden. Auch das Bonner Frankreichzentrum Centre Ernst Robert Curtius (CERC) hat am 18. September mit einer Podiumsdiskussion im Hörsaal 8 des Universitätshauptgebäudes zu dem vielfältigen Programm unter dem Oberthema „Dynamiken der Macht“ beigetragen.
Auf Einladung von Peter Geiss (stellvertretender CERC-Sprecher) und Christina Schröer (CERC-Geschäftsführerin) diskutierten Nicola Brauch (Universität Duisburg-Essen), Sylvain Doussot (Université de Nantes) und Mark Smith (Stanford University) in englischer Sprache über das Thema „Dynamics of Power and Critical Inquiry in the History Classroom“. Im Anschluss an eine Einführung der Organisatoren hielten die Gäste kurze Impulsreferate, bevor Peter Geiss zunächst den Austausch auf dem Podium moderierte und Christina Schröer mit zusammenfassenden Bemerkungen in die Diskussion mit dem Publikum überleitete.
Die Veranstaltung war gut besucht und die Veranstalter zeigten sich im Anschluss zufrieden mit dem Ergebnis. Der Blick über die Grenzen habe sich gelohnt: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Forschung zum Geschichtsunterricht in Deutschland, Frankreich und den USA sind klar erkennbar geworden. „Es war schade, dass Mark Smith aufgrund von Krankheit nicht persönlich dabei sein konnte“, sagte Christina Schröer im Anschluss, „aber nach ersten technischen Problemen haben die Übertragung und der Austausch per Zoom am Ende doch gut geklappt.“ Smith ist Experte für die in den USA sehr beliebte Methode Sam Winebergs, der das historische Denken als Grundlage des Geschichtsunterrichts versteht: Um den Bruch zwischen Schule und akademischer historischer Forschung zu überwinden, plädiert Wineberg dafür, die drei Schritte des historischen Denkens (Quellen benutzen, sie kontextualisieren und validieren) auch im Schulunterricht einzuüben. Auf die Nachfrage, inwiefern die aktuelle politische Situation in den USA auch den Geschichtsunterricht beeinflusse, antwortete Smith differenziert: Die einzelnen Bundesstaaten hätten ihre jeweils eigenen Gesetze und Rahmenbedingungen, man dürfe nicht davon ausgehen, dass Washington zentralistisch Inhalte vorgebe, wie dies z.B. in Frankreich üblich ist. Nicola Brauch erläuterte den in Deutschland nach wie vor dominierenden Ansatz des deutschen Geschichtstheoretikers Jörn Rüsens, der die Bedeutung der Sinnbildung für das Geschichtslernen betont und daher im Unterschied zu Wineberg eher als Vertreter einer „normativen Schule“ zu qualifizieren ist. Die Untersuchung historischer Sinnbildung in ihrer kognitiven, politischen und ästhetischen Dimension steht im Mittelpunkt von Rüsens Forschungen. Brauch warf die Frage auf, welche Grenzen uns bei einer demokratischen Wertevermittlung in der Schule gesetzt sind, und welche Grenzen auch die Einstellungen der Schüler:innen selbst für den Lehrenden darstellen können. Demgegenüber skizzierte Sylvain Doussot aus Nantes sein Vorgehen im Modellversuch mit französischen Schülerinnen und Schülern. Am Beispiel einer kritischen Medienanalyse machte er deutlich, dass es darum gehe, den Schüler:innen zu ermöglichen, mediale Inhalte bewusst in ihrer Auswahl und Perspektivität zu hinterfragen, um anschließend die Qualität der Berichterstattung beurteilen und wertschätzen zu können. Angesichts der wachsenden Skepsis der französischen Gesellschaft gegenüber den Institutionen und Medien gehe es darum, auf der Basis kritischen Denkens Vertrauen zurückzugewinnen.
Peter Geiss hatte in seiner Einleitung insbesondere die Verbindung zwischen Macht und Geschichtsunterricht thematisiert, auch für westliche demokratische Gesellschaften. Zwar sei die historisch-kritische Methode geeignet, Bildung in und für Demokratie zu ermöglichen (am Dienstag bei der Eröffnungsfeier sprach Ministerpräsident Wüst sogar von der historischen Methode als einer Art „Superkraft“). Aber in zunehmend polarisierten Gesellschaften werde Pluralität zunehmend zu einer Herausforderung und die seit langem gültigen normativen Kontexte stünden aktuell unter Druck.
Christina Schröer erläuterte eingangs, dass Sylvain Doussot und Peter Geiss bereits seit einigen Jahren am CERC in vergleichender Perspektive zusammenarbeiten. Ihr Projekt konzentriert sich auf die epistemologischen Grundlagen historischer Untersuchungen in Universität und Schule. Diese Kooperation war der Ausgangspunkt des Podiums am Historikertag, zu dem weitere Perspektiven eingeladen worden waren. In ihren Schlussbemerkungen warf Schröer die Frage auf, inwieweit unterschiedliche nationale Traditionen und Begriffsverwendungen den internationalen Vergleich erschwerten. Alle Redner wählten leicht unterschiedliche Schwerpunkte, indem sie stärker die Operation des Denkens selbst, die historische Methode oder z.B. die normativen Kontexte stärker in den Mittelpunkt stellten. Während Smith und Brauch eher einen analytisch neutralen Zugang wählten, sprach Doussot davon, kritische Untersuchungen im Geschichtsunterricht als Waffe im Kampf für die demokratische Gesellschaft zu verstehen. Die Begriffe „Kritik“ bzw. „kritische Methode“ wurden jedoch zwischen den verschiedenen Rednern keineswegs einheitlich verwendet. So endete das Podium mit einem Plädoyer für weitere Forschungen in diesem Zusammenhang.
Der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD) hatte gemeinsam mit dem Ortskomitee der Universität Bonn und in Kooperation mit dem Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands (VGH) zu Fachsektionen, Podiumsdiskussionen und Arbeitsgruppentreffen zum Thema „Dynamiken der Macht“ eingeladen. Es wurden aktuelle Themen aus allen Teilgebieten der Geschichtswissenschaft diskutiert. Weitere Nachberichte finden Sie u.a. über den Instagram-Account des Historikertags sowie (bald) über die Plattform HSozKult.