16. Juni 2025

Nachbericht: Atelier d'été am CERC mit der Universität Lille Nachbericht: Atelier d'été am CERC mit der Universität Lille

Gruppenfoto
Gruppenfoto © CERC
Alle Bilder in Originalgröße herunterladen Der Abdruck im Zusammenhang mit der Nachricht ist kostenlos, dabei ist der angegebene Bildautor zu nennen.
Bitte füllen Sie dieses Feld mit dem im Platzhalter angegebenen Beispielformat aus.
Die Telefonnummer wird gemäß der DSGVO verarbeitet.

Vom 5. bis 7. Juni 2025 fand am CERC das erste Atelier d’été statt, eine deutsch-französische Summer School zum Thema „La fabrique des sciences humaines“

Eine Gruppe von jeweils zehn Studierenden und Promovierenden der Universitäten Lille und Bonn tauschte sich vor dem Hintergrund der eigenen Forschungsarbeiten intensiv über die Frage aus, wie in den geisteswissenschaftlichen Fächern Erkenntnisse produziert werden. Dazu wurden zentrale methodische und theoretische Texte diskutiert sowie Projekte aus verschiedenen Fachbereichen von Lehrenden beider Universitäten präsentiert. 

Im Anschluss an die inhaltliche Einführung durch Christina Schröer (Bonn) und Gabriel Galvez-Béhar (Lille) gab es eine Vorstellungsrunde, bei der alle Teilnehmenden sich selbst und ihr aktuelles Forschungsprojekt kurz persönlich präsentierten. In der Diskussion des Textes Historicités du 20e siècle der französischen Historikerin Ludivine Bantigny ging es anschließend um verschiedene Konzepte von Zeitlichkeit und Präsentismus, moderiert von Gabriel Galvez-Béhar. Schnell entwickelte sich dabei eine intensive Arbeitsatmosphäre und ein unkomplizierter deutsch-französischer Austausch, trotz der Sprachbarriere. Die Arbeitssprache des Atelier war durchgängig Französisch. 

Der nächste Tag startete mit drei Projektpräsentationen aus der Geschichtswissenschaft, der Linguistik und der Kunstgeschichte. 

Zu Beginn hielt der Geschichtswissenschaftler Peter Geiss (Bonn) einen Vortrag zum Thema: Normativité et factualité. Comment l’enquête historienne peut-elle aider les élèves à participer aux débats politiques d’aujourd’hui? Dabei ging es um die Frage, wie man Schüler:innen zur Hinterfragung von Normativität in der Geschichtserzählung anleiten kann, ohne dabei in einen Relativismus zu verfallen oder selbst Gefahr zu laufen, normativ zu werden. Ziel sollte es sein, ein historisches und politisches Bewusstsein durch Analyse und kritische Hinterfragung von Werturteilen und Normativität zu erreichen und zur gemeinsamen Reflexion anzuregen. Anschließend präsentierten die Sprachwissenschaftlerinnen Paola Pietrandrea (Lille) und Anke Grutschus (Bonn) einen gemeinsamen Vortrag unter dem Titel La linguistique et ses approches épistémologiques: autour du "linguistic turn" et des débats actuels, in dem es u.a. um die komplexe Beziehung zwischen wissenschaftlichen Denkansätzen und Sprache ging, da sich in der Sprache letztlich jedes Denken manifestiert. Sprachwissenschaftliche Modelle ermöglichen eine differenzierte Analyse dieser Beziehung, sei es auf Grundlage der Arbeiten Ferdinand de Saussures, die auch den sogenannten lingustic turn stark mit geprägt haben, sei es im Zuge aktueller sprachwissenschaftler Modelle, die zwischen Deutschland und Frankreich weiterentwickelt und wechselseitig rezipiert werden, wie es Anke Grutschus dargestellt hat. Als Letztes sprach Kunsthistoriker Markus Dauss (Bonn) über Perspectives sur l’espace et l’image dans l’histoire de l'art. Er ordnete seine Überlegungen in eine Reihe weiterer wirkmächtiger „turns“ ein und knüpfte insbesondere an Ansätze des spatial und iconic turn an, betonte aber, dass der starke Fokus auf Sichtbarkeit im Zuge dieser Paradigmen zu einer Vernachlässigung des Unsichtbaren geführt habe. An Beispielen der klassischen Moderne belegte er diese These, die sich auf die Unsichtbarkeit konkreter Objekte oder Personen ebenso wie auf die Leugnung oder das Vernachlässigen sozialer Konflikte beziehen lässt.

Nach einer gemeinsamen Mittagspause diskutierte die Gruppe einen Textauszug aus Marc Bloch: Apologie pour l’histoire (Chapitre IV : L’analyse historique); Christina Schröer führte in das Werk des Historikers ein und moderierte das Gespräch. Insbesondere Blochs Interesse an epistemologischen Fragen und sein Verständnis von Geschichte als Wissenschaft standen dabei im Zentrum des Interesses; aber es ging auch um deutsch-französische Bezüge in seinem Werk und seine zeitversetzte Rezeption in den beiden Untersuchungsländern. Zwei Doktoranden des Bonner trinationalen Graduiertenkollegs „Gründungsmythen Europas“, Gabriele Gallina (Paris) und Lukas Brock (Paris), setzten den Schlusspunkt der Veranstaltung mit ihrer Präsentation von Texten von Michel Foucault (Qu’est-ce que les Lumières?) und Theodor W. Adorno (Théorie de la demi-culture), die sie vor dem Hintergrund ihrer Forschungsthemen ausgewählt und der Gruppe für eine gemeinsame Diskussion vorgeschlagen hatten. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage nach der Relevanz der Texte für die eigenen Arbeiten. In einer abschließenden Diskussion wurden die zentralen Erkenntnisse noch einmal rekapituliert und reflektiert: Alle Beteiligten waren sehr zufrieden mit dem Ablauf und drückten den Wunsch nach einer Fortsetzung der Diskussion im nächsten Jahr aus. Gabriel Galvez-Béhar stellte in Aussicht, man könne sich in Lille treffen.

Das Atelier d’été stellte für alle Teilnehmenden eine Bereicherung auch im Hinblick auf die eigenen Forschungsprojekte dar; insbesondere der persönliche Austausch zwischen der deutschen und französischen Wissenschaftskultur wurde als sehr wertvoll empfunden. 

Die Veranstaltung fand ihren Ausklang in einem Stadtrundgang, vorbei an den Sehenswürdigkeiten Bonns sowie einem gemeinsamen Abendessen. Das Ziel, das Bewusstsein für Chancen und Herausforderungen deutsch-französischer Forschungskooperationen zu schärfen, wurde durch den Austausch sicherlich erreicht, und alle Teilnehmenden hoffen auf eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Universitäten Bonn und Lille auch im Rahmen zukünftiger Projekte. Das Treffen wurde ermöglicht dank einer großzügigen Finanzierung seitens der Universität Lille sowie weitere Beiträge des CERC und der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH, über die „Gründungsmythen Europas“). 

Ein Interview mit Christina Schröer über die erste deutsch-französische Summer School am CERC wurde am 13.6.2025 auf der Homepage der Universität Bonn unter "Aktuelles" veröffentlicht:

Ideen in Bewegung: Wie Bonn und Lille gemeinsam Zukunft denken

Hier geht es zum Interview

Gemeinsame Diskussion
Gemeinsame Diskussion © CERC
Teilnehmer*innen
Teilnehmer*innen © CERC
Teilnehmer*innen
Teilnehmer*innen © CERC
Teilnehmer*innen
Teilnehmer*innen © CERC
Vortrag von Gabriele Gallina und Lukas Brock
Vortrag von Gabriele Gallina und Lukas Brock © CERC
Gemeinsamer Austausch
Gemeinsamer Austausch © CERC
Stadtrundgang mit Teilnehmer*innen der Uni Lille und Gabriel Galvez-Béhar
Stadtrundgang mit Teilnehmer*innen der Uni Lille und Gabriel Galvez-Béhar © CERC
Besuch im Haribo-Laden
Besuch im Haribo-Laden © CERC
Wird geladen