„Die Ukraine ist Europa, die Ukraine ist bereits Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur“ – dieser eindringliche Appell war Teil des Eingangsstatements von Anna Kravtsenko, Mitarbeiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) in Kiew. In einem Input von 10 Minuten verschaffte sie dem voll besetzten Vortragssaal im Institut français (IF) einen umfassenden Einblick in die aktuelle Lage der Ukraine vor Ort und ordnete deren schwierige Verhandlungsposition gleichzeitig in den Kontext europapolitischer Herausforderungen ein.
Die beiden universitären Zentren CERC und CASSIS hatten erneut gemeinsam mit dem IF und der FNF zum Dt.-Frz. Strategischen Dialog eingeladen, diesmal in Präsenz, als Pre-Event des International Security Forum Bonn 2025, und zum Thema „Die zukünftige Rolle der Ukraine in einem sicheren Europa“. Spätestens mit der zweiten russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2022 hat sich die Sicherheitsordnung Europas grundlegend verändert. Inwiefern dies auch Deutschland und Frankreich vor große Herausforderungen stellt und welche Rolle sie in Europa spielen sollten, war Gegenstand einer spannenden Diskussion mit den Gästen Dr. Johanna Möhring, Dr. Shushanik Minasyan-Ostermann und Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder. Zusätzlich brachte Minasyan-Ostermann die Perspektive der Anrainerstaaten des Schwarzmeerraumes mit ein.
Nach einer Eingangsrunde, die insbesondere die komplexe strategische Lage aus Perspektive der verschiedenen Länder beleuchtete, ging es vor allem um die Frage, wie die Unterstützung der Ukraine mit den eigenen nationalen Interessen zu vereinbaren ist und welche Bedeutung eine Integration der Ukraine in die EU für die europäische Sicherheitspolitik hätte. Alle Referenten waren sich einig, dass sich in der Ukraine die Zukunft Europas mitentscheidet. Sie mahnten aber auch zu realistischen Perspektiven. Angesichts der unterschiedlichen Positionen, die innerhalb der EU zur Unterstützung der Ukraine vertreten würden, könne allein eine „Koalition der Willigen“ einen Fortschritt erreichen. In Deutschland beobachtete Heinemann-Grüder eher ein sinkendes Interesse an der Berichterstattung zur Ukraine, was die Bundesregierung vor neue Herausforderungen stellt. Möhring berichtete, in Frankreich würde das Interesse aktuell eher zunehmen; die hohe Staatsverschuldung setzt dem französischen Engagement aber ebenso Grenzen wie die instabile politische Lage.
Kann der Krieg in der Ukraine noch zur „Stunde Europas“ werden, in der die EU zu einer starken Position findet? Minasyan-Ostermann sprach das Problem an, dass die EU eher als schwacher Akteur wahrgenommen wird und in den aktuellen Gesprächen über Waffenstillstand oder gar Friedensverhandlungen an Autorität und als Sicherheitsgarant an Bedeutung verliert; sie beobachtet eher die wachsende Bedeutung von Staaten wie Indien, Pakistan und China. Man dürfe nicht vergessen, dass viele weitere Länder in Osteuropa ebenfalls zwischen der EU und Russland gespalten seien. Georgien wurde als ein Beispiel für den wachsenden russischen Einfluss in der Region angeführt: ehemaliges Musterbeispiel für die Orientierung nach Brüssel scheint die Regierung inzwischen die Anziehungskraft des normativen Modells EU nicht mehr zu favorisieren, trotz andauernder EU-freundlicher Proteste in der Bevölkerung.
Auch das Thema der schwierigen transatlantischen Partnerschaft und die Rolle Donald Trumps bzw. der USA wurde thematisiert.
Am Ende stand keine eindeutige Handlungsempfehlung, geschweige denn eine Lösung der vielschichtigen Probleme. Es gilt weiterhin, gemeinsam mit der Ukraine neue Strategien und Wege zu suchen, um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Werte zu verteidigen und die Zukunft der europäischen Ordnung nachhaltig zu sichern. Berlin und Paris sind ebenso wie Brüssel für viele osteuropäische Staaten nach wie vor wichtige Bezugspunkte; es wird in den kommenden Monaten also auch darum gehen, dieser Bedeutung gerecht zu werden – wenn möglich in engem Austausch miteinander.
Mit Anna Kravtsenko (Projektleiterin Ukraine Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit), Dr. Johanna Möhring (Chercheure associée am Centre Thucydide in Paris und Dozentin an der Sciences Po Grenoble, Mitbegründerin und Botschafterin von Women In International Security (WIIS) France), Dr. Shushanik Minasyan-Ostermann (CASSIS) und Prof. Dr. Andreas Heinemann-Grüder (Senior Fellow am CASSIS und Senior Researcher am BICC)