Künste und Gaben

CERC-Projekt von Sabine Mainberger

Gabenpraktiken, wie sie Marcel Mauss in seinem Essai sur le don (1923/24) studiert, existieren einerseits als strukturbildende Verhältnisse in vormodernen Gesellschaften, andererseits haben sie – mit einer Reihe von Modifikationen – auch entscheidende Funktionen in der Gegenwart. Das zeigen u.a. soziologische Studien, die ökonomistischen und utilitaristischen Verengungen entgegentreten, der ambitionierte Entwurf einer Anthropologie der Gabe, die Mauss’ Überlegungen verallgemeinert und aktualisiert, sowie Bestrebungen, das Gabenkonzept auch auf die Natur auszuweiten, Spurensuchen nach Gaben in Alltagspraktiken, Organisationen, neuen Formen der Ökonomie unter Bedingungen der Digitalisierung u.a.m. Jüngere philosophische Lesarten erlauben Brückenschläge zur Anerkennungstheorie, ethnologische Arbeiten führen den Mauss’schen Ansatz kritisch fort. In den kulturwissenschaftlichen Fächern scheint das Potenzial dieser Überlegungen trotz einer Konjunktur in den 1990er Jahren ebenfalls noch nicht ausgeschöpft. Historische Untersuchungen haben sich Gabenpraktiken verschiedener Epochen angenommen und die universalistische ‚Gabe‘ v.a. pluralisiert. Derzeit bestehen fruchtbare Verbindungen zu Studien materieller Kultur und der Funktion der Dinge bei der Konstitution nicht nur ökonomischer, sondern auch sozialer, politischer und kultureller Beziehungen; neuere Arbeiten zur Diplomatie-Geschichte, insbesondere der über Europa hinausgehenden, rekurrieren auf das Gabenkonzept; methodisch stellt man Verknüpfungen u.a. zu Ansätzen der ANT her.
Meine derzeit in Arbeit befindliche Monographie verbindet die Frage nach Gabenkonzept und - praktiken mit begriffshistorischen Studien. Sie geht den Überschneidungen des für die europäische Kulturgeschichte wichtigen semantischen Feldes von charis, gratia, grazia, grâce etc. mit demjenigen der Gabe nach und analysiert an ausgewählten Szenarien, wie sich Künste und soziale Gabenbeziehungen, die ökonomische, politische, ethische, rechtliche und religiöse Dimensionen haben, vermitteln. Es werden konkrete Kunstwerke im Gabentausch beleuchtet und mit Kunst befasste Texte gabenanthropologisch gelesen. Künste sollen dabei als ein komplexes interaktives Geflecht beschrieben und Tätigkeiten wie Produzieren, Konkurrieren, Distribuieren, Rezipieren, Sammeln, Umarbeiten, Restituieren, Stiften etc. als ein vielfältiges Geben, Nehmen und Erwidern gefasst werden.
Die Geschichte der französischen Soziologie und Ethnologie, die Rezeption des berühmten Gaben- Essays bis hin zu jüngsten Weiterentwicklungen in Frankreich spielen dabei eine entscheidende Rolle. Einzelne Kapitel gelten aber auch ausgewählten historischen Szenarien französischer Gabenpraktiken, z.B. am Hof von François Ier.

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