Ruinen – Fotografie in Frankreich

CERC-Projekt von Markus Dauss

Ruinen und Fotografie sind eng aufeinander bezogen, wie uns (leider) die Berichte zur aktuellen Weltlage lehren, die eine Fülle an Bildern zerstörter Bauten umfassen.

Die Kunstgeschichte kann uns über die historische Tiefendimension dieses stets engen Konnexes aufklären. Allerdings ist der disziplinäre Blick auf die fotografische Darstellung von Ruinen durch die große Präsenz der Ruinenmalerei und -graphik verstellt bzw. determiniert: Zwar ist es keinesfalls zu leugnen, dass die eingeschliffenen Bildformeln der klassischen Gattungen mit ihren reflexiven, melancholischen oder nostalgischen Konnotationen auch im fotografischen Feld fortwirken. Aber die Fotografie fügt der Ruinenfaszination auch die Dimension des Dokumentarischen, Reportagehaften und Klassifikatorisch-Taxonomischen hinzu – sie werden dem neuen Medium ja als primäre Aufträge seit ihrer Entstehung zugewiesen. Durch zeitlichen Verfall oder destruktive Ereignisse beschädigte Bauwerke oder Städte waren ja schon als intakte Gebilde das erste Motiv der frühen Fotografen und sind insofern ideale Objekte des fotografischen Blickes. Jenseits dieser funktionalen oder mediensoziologischen Bezüge lassen sich aber auch eher theoretische ausmachen: Sowohl Ruine als auch Fotografie sind dem Fragment (respektive Ausschnitt) verpflichtet; beide operieren allegorisch (Walter Benjamin). Wie die Ruine steht auch die Fotografie im Zeichen von Temporalität, Morbidität (Barthes) – und für einen weniger immediaten (wie im dokumentarischen Paradigma behauptet) als vermittelten, reflexiven Weltzugang. Dokumentarische Mission und mediale Kondition fließen ineinander.  

Ziel des Projektes ist es, diese Bezüge anhand ausgewählter Fotografien aus Frankreich (‚Geburtsort‘ des Mediums) zu rekonstruieren. Nicht nur die Fotografie ist in Frankreich Teil einer Nationalmythologie. Auch Ruinen sind dort ein wichtiger Baustein nationaler Selbstverständigung und Ausgangspunkt imaginärer Entwürfe kollektiver Identität zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft geworden. ‚Auftrag‘ der Historie, ‚Neuaufbau‘ der Nation – oder ihrer Kapitale ­– in Krisen- oder Transformationszeiten (Krieg, Okkupation), aber auch territoriale Einheit und Zentralität (aus der Diversität des Verstreuten gewonnen) werden bis heute über die Inszenierung von Ruinen orchestriert. Welche Rolle dabei das Medium der Fotografie zwischen dem 19. Jahrhundert und der Gegenwart gespielt hat, ist im Projekt (ideologie-)kritisch zu reflektieren. Auch Rückwirkungen auf die Welt des Gebauten ­sind zu berücksichtigen – etwa in Form künstlicher Ruinen, einem bis heute persistenten Phänomen (z.B. Les Deux Plateaux, bekannt als ‚colonnes de Buren‘ vor dem Palais Royal), oder der suggestiven, ‚fotogenen‘ Inszenierung prominenter Ruinenensembles (Z.B. Le Louvre médiéval). Dabei sind auch Ränder und Grenzen des Nationalen im Rahmen postkolonialer Perspektiven zu problematisieren. Denn das für das nationale Selbstbild lange Selbstverständliche erodiert auch in Frankreich zunehmend – was Chancen für Neukonzeptionen birgt.

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