Die Aussprache der Mächtigen. Soziophonetische Untersuchungen zum Wandel der Sprache französischer Spitzenpolitiker:innen

CERC-Projekt von Anke Grutschus

Das Projekt nimmt auf der Grundlage eines diachronen Korpus aus Reden und Wahlkampfdebatten französischer Spitzenpolitiker:innen (jeweils Präsidenten und Premierminister:innen) einerseits die Verwendung von für das français cultivé charakteristischen und z. T. als „elitär“ konnotierten Variablen wie einer maximalistischen Realisierung der liaison (z. B. die Realisierung von trop aimable als [tʁɔpɛmablə]) sowie die hyperkorrekte Realisierung von Geminaten (z.B. illusion als [illyˈzjɔ̃]) in den Blick und überprüft andererseits den möglichen Gebrauch von français familier oder français populaire zuzuordnenden Phänomenen wie der Elision postkonsonantischer Liquide (z. B. quatre [kat] oder table [tab]). Neben einer deskriptiven Analyse mit dem Ziel, erwartbare, aber für Politiker:innensprache bislang nicht systematisch belegte Abnahmen von liaisons und Gemination sowie eine Zunahme von Elisionen des Typs tab‘ zu erfassen, soll die Aussprache der Spitzenpolitiker:innen auch aus soziophonetischer Perspektive beleuchtet werden. Das vorliegende Projekt füllt damit eine Lücke in der Analyse politischer Sprache, die sich bislang fast ausschließlich auf die lexikalische und die diskursive Ebene konzentriert hat.
Die Aussprache der politisch Mächtigen kann in diesem Zusammenhang einerseits als Demonstration des kulturellen Kapitals, das die souveräne Beherrschung der Prestige-Varietät bedeutet, interpretiert werden. Andererseits kann eine weniger starke Präsenz der genannten Prestige-Marker auch als mehr oder weniger bewusste „Demokratisierung“ der Aussprache gedeutet werden, mit der Politiker:innen „Nahbarkeit“ oder „Volksnähe“ evozieren. Die oft nur schwer vorzunehmende Differenzierung zwischen diesen beiden Motivationen soll über die Kommunikationssituation erreicht werden, in der die jeweiligen Äußerungen zu verorten sind: Das Korpus soll zu jedem/r Politiker:in zwei monologische (vorgelesene) Ansprachen enthalten, von denen die eine mit kopräsentem Publikum (etwa bei Wahlkampfveranstaltungen) und die andere ohne vor Ort präsentes Publikum (z. B. in einem Fernseh- oder Radiostudio) stattfindet. Ergänzt werden soll das Korpus jeweils durch eine dritte Aufnahme, die einer dialogischen Kommunikationssituation, etwa einem Interview oder einem Wahlkampfduell entstammt.
Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Vorher-nachher- Vergleiche von Kandidaten, die später ins Präsidentenamt gewählt wurden, auf den unterschiedlichen Etappen ihres Karriereweges. Aber auch die Differenzierung männlicher und weiblicher Spitzenpolitiker:innen sowie eine Differenzierung nach politischen Lagern, die bei Premierminister:innen sicherlich mehr Gewicht hat, sind relevant.

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